Infolge der Kriegserschütterung des 1. Imperialistischen Verteilungskrieges befand sich der Kapitalismus für Lenin in einer revolutionären Situation. Und tatsächlich reifte im zaristischen Russland eine solche mehr und mehr heran. Bereits im Sommer 1916 kam es im Vielvölkerstaat und zaristischen Völkerkerker zu einem antikolonialen Aufstand in Zentralasien. An der Front nahmen parallel die Soldat*innenunruhen zu. Die Bäuer*innen wiederum wandten sich in immer größerer Zahl gegen die Gutsbesitzer*innen. Und im Herbst kam es aufgrund der zunehmenden Verschlechterung der Lebensmittelversorgung dazu noch zu massiven erneuten Streikwellen in den Städten.
Zu Beginn des Jahres 1917 wuchs die revolutionäre Bewegung im ganzen Land rasch weiter an. Am 9. Januar, dem Jahrestag des „Petersburger Blutsonntags” von 1905, fanden in vielen Teilen Russlands, allem voran in Moskau und Retrograd, Massendemonstrationen statt, die in den folgenden Wochen nicht abebbten, sondern sich zu Streiks und Hungermärschen anwuchsen. Am 18. Februar 1917 traten dann die kampferprobten Arbeiter*innen der Retrograder Putilow-Werke in den Streik. Auf die hierauf folgende Aussperrung der Putilow-Arbeiter*innen antworteten die Arbeiter*innen der anderen Retrograder Betriebe mit Solidaritätsdemonstrationen und Streiks, die schließlich in einen Generalstreik mündeten. Tags darauf, am Internationalen Frauentag (23. Februar nach damaligem russischen Kalender), schlossen sich die Frauen Russlands den Demonstrationen an. Es kam zu ersten Zusammenstößen mit der Polizei. Am Folgetag wuchs die Bewegung in einen allgemeinen politischen Streik unter den Losungen „Nieder mit dem Zaren!”, „Nieder mit dem Krieg!”, „Brot!” hinüber. Dies bedeutete den letztendlichen Durchbruch zur Revolution. Am 26. und 27. Februar gingen die Soldat*innen der Garnison auf die Seite der Massen und der Kampf in den bewaffneten Aufstand über. Nach erbitterten Kämpfen befand sich die Hauptstadt am Abend des 27. Februar in den Händen der Revolutionär*innen. Zwei Tage später folgte Moskau. Die zaristische Selbstherrschaft brach sang und klanglos zusammen. Die bürgerlich-demokratische Februarrevolution hatte gesiegt. Aus der „Duma” ging am 28. Februar eine „Provisorische Regierung” hervor. Die Macht lag allerdings beim Petrograder Sowjet, dem Rat der Arbeiter*innen- und Soldat*innenputierten, der sich ebenfalls am 28. Februar gründete.
Auf diese Weise kristallisierte sich als Ergebnis der Februar Revolution ihre merkwürdigste Erscheinung, die Doppelherrschaft heraus: Neben- und miteinander existierten die Macht der Bourgeoisie in Form der Provisorischen Regierung und die Macht der (bewaffneten) Arbeiter*innen und (in Soldat*innenröcke gesteckten) Bäuer*innen, eine Macht und ein Machtorgan neuen Typs, die sich auf die Massen stützte.
Lenin charakterisierte die entstandene Situation aus seinem Schweizer Exil zurückgekommen in seinen berühmten „April-Thesen” als Periode des Übergangs und orientierte die Partei auf eine rasche Fortsetzung des einheitlich bzw. zusammenhängend begriffenen Revolutionsprozess und den Übergang von der bürgerlich-demokratischen Etappe der Revolution zur sozialistischen. Den Sowjets als der unter den Bedingungen Russlands gemäßen Form der „revolutionär-demokratischen
Diktatur der Arbeiter*innen und Bäuer*innen”- müsse darin die ganze Macht zufallen, das entstandene Interim zu ihren Gunsten entscheiden werden. Als einziger aller Parteiführer forderte er: „Alle Macht den Sowjets!”
Als es aufgrund zunehmender Proteste gegen die Fortführung des imperialistischen Krieges durch die Provisorische Regierung Ende April zu einer manifesten Regierungskrise kam, traten Anfang Mai Sozialrevolutionär*innen und Menschewiki in das umgebildete, neue Kabinett ein. Daraus ging die Bildung einer Koalitionsregierung, bestehend aus zehn Kadett*innen und Oktobristen, sechs Sozialrevolutionär*innen und Menschewiki hervor, womit das Prinzip der „Doppelherrschaft” bereits ein Stück weit durchbrochen wurde.
Die Arbeiter*innen und Soldat*innen Petrograds forderten immer nachdrücklicher, der Petrograder Sowjet solle die gesamte Staatsgewalt übernehmen, die Doppelherrschaft zugunsten der Sowjets beenden und die Provisorischen Regierung stürzen. Aber die Bolschewiki verfügten im Petrograder Sowjet noch über keine Mehrheit und hielten einen solchen Schritt für verfrüht.
Am 4. Juli demonstrierten dennoch allein in Petrograd über 500.000 Arbeiter*innen, Soldat*innen und Matros*innen unter den bolschewistischen Losungen „Alle Macht den Sowjets!”, .Nieder mit dem Krieg!”, „Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern!” und forderten die Übernahme der Macht durch die Sowjets, die Übergabe des Bodens an die Bäuer*innen und den Abschluss eines für alle Völker gerechten und Friedens. Nun spitzte sich die politische Situation rasch zu. Die Regierung bot reaktionäre Truppenteile auf, um die revolutionären Kräfte mit Waffengewalt niederzuschlagen und gab den Befehl, das Feuer auf die Demonstranten zu eröffnen, die man der „bolschewistischen Verschwörung und Meuterei” bezichtigte. Mehr als 400 Menschen wurden getötet, über Petrograd der Kriegszustand verhängt, zahlreiche Bolschewiki und revolutionäre Arbeiter*innen wurden verhaftet, Truppeneinheiten, die an der Demonstration teilgenommen hatten, aufgelöst und gegen Lenin ein Haftbefehl wegen „Hochverrats” erlassen. Parallel wurde das ZK-Gebäude der Bolschewiki und die Redaktion und Druckmaschinen der „Prawda” zerstört. Die Partei der Bolschewiki wurde de facto illegalisiert. Lenin musste auf Beschluss der Parteiführung neuerlich ins Exil.
Das Juli-Massaker beendete die Doppelherrschaft Russlands zugunsten der Konterrevolution, die danach über überall mit Gewalt und Terror in die Offensive ging. Diesen Zustand zu beenden war für die Bolschewiki jetzt nur noch auf dem Weg des bewaffneten Aufstands der werktätigen Massen (gestützt auf die zu erobernde Mehrheit in den Sowjets) möglich.
Gleichzeitig war damit natürlich kein einziges der aktuellen Probleme Russlands gelöst. Als Ende August der zaristische General Kornilow einen Putsch im Interesse der Großgrundbesitzer gegen die Provisorische Regierung zur Errichtung einer Militärdiktatur vorbereitete, stellten sich revolutionär gesinnte Truppenteile und revolutionäre bewaffnete Formation wie die „Roten Garden” unter Führung der Bolschewiki der vorrückenden Kornilow-Armee entgegen. Der Kornilow-Putsch war in wenigen Tagen besiegt. Das Ansehen der Bolschewiki gewann darauf weiter an Aufschwung.
Begleitend wandelten sich die Mehrheitsverhältnisse in den Räten mehr und mehr zugunsten der Bolschewiki, die nach 31. August im Retrograder, am 5. September auch die Mehrheit im Moskauer Sowjet (und Hunderten weiteren Sowjets des Landes) errangen. Neben der massenweisen Bolschewisierung der Sowjets stieg auch ihr Einfluss in der Armee immer weiter an. Gleichzeitig nahm die Landnahme der Bäuer*innen weiter zu, welche von den nach Hause strömenden Soldatensöhnen unterstützt wurde und spitzte sich die Lage auch auf dem Land zu. Im September/ Oktober entfaltete sich in weiten Gebieten Russlands ein regelrechter Bäuer*innenkrieg.
Die Fortsetzung des Krieges, die ungelöste Agrarfrage und die mangelnde Lebensmittelversorgung, sowie die nationale Frage als drittes massenwirksames Motiv der Revolutionen, markierten weiterhin die wesentlichen Quellen und Widerspruchskonstellationen des rasant verlaufenden Anwachsens des Einflusses der Bolschewiki ab September.Was aufgrund ungleicher Rhythmen revolutionärer Entwicklungen in der Revolution 1905 noch nicht zusammenfloss, verband sich jetzt zu einem einheitlichen, reißenden revolutionären Strom.
Als nun die Mehrheit in den Sowjets, die Landnahme der Bäuer*innen und die Tagung des II. Allrussischen Sowjetkongresses zusammenfielen und bevor die Regierung die laufenden spontanen Landnahmen der Bäuer*innen niederschlagen konnte war für die Bolschewiki und der mit ihnen verbündeten linken Sozialrevolutionär*innen, die gemeinsam eine Mehrheit des Kongresses innehatten, der Moment des bewaffneten Aufstands gekommen.
All diese Faktoren zusammen bewogen Lenin, der in den kritischen Monaten Juni/Juli und im September die Verhältnisse noch nicht reif für eine „Machtübernahme” hielt – die Partei nun in den sozialistischen Aufstand zu führen. Der Plan der Bolschewiki und linken Sozialrevolutionär*innen, die den Aufstand unterstützten, war: schnellstmöglich die Macht zu erobern und diese dem tagenden Sowjetkongreß zu übergeben.
Am Abend des 24. Oktobers 1917 schritten die revolutionären Kräfte zur Oktoberrevolution. Der Aufstand vollzog sich planmäßig, schnell und aufgrund der drückenden revolutionären Übermacht weitgehend unblutig. Die Provisorisch Regierung kapitulierte angesichts der Kräfteverhältnisse und Ausweglosigkeit ihrer Lage widerstandslos. Am Abend des 25. Oktober gab ein Schuss des Kreuzers „Aurora” das Signal zum Sturm auf das Winterpalais, die letzte Festung der Provisorischen Regierung und läutete damit zugleich die Morgenröte des weltweiten Übergang zum Sozialismus ein. Die seit Februar verschleppten Aufgaben, Forderungen der Massen und ungelösten Widerspreche wurden von Sowjetrussland nun umgehend angegangen.