Mit unseren Kurzinterviews mit Schüler*innen und Stundierenden haben wir vor einiger Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass die Covid-19-Pandemie auch die nicht Erwerbstätigen unter uns stark betroffen hat. Heute wollen wir unser Interview mit Agit von der SDS Bonn mit euch teilen, der uns einen Einblick in die Probleme der Studierenden verschaffen wird.
1. Hallo Agit, vielen Dank erst mal, dass du dir Zeit für uns nimmst. Bevor wir mit unseren Fragen beginnen, kannst du dich kurz vorstellen?
Hey, danke erst einmal für die Einladung. Ich heiße Agit und bin 25 Jahre alt, ich studiere Politikwissenschaften an der Uni Bonn. Dort bin ich Mitglied des Sozialistich Demokratischen Studierendenverbands, kurz SDS. Für diesen war ich von Januar 2019 bis Januar 2020 Mitglied des Studierendenparlaments. Auch neben dem Studium bin ich politisch aktiv. Ich helfe außerdem am Wochenende im Laden meiner Eltern aus.
2. Du bist jemand, der sich viel engagiert und an der Universität politische Arbeiten führt. Kannst du uns ein paar Einblicke in deine universitäre Arbeit gewähren und kurz etwas darüber sagen, wie man sich als Student*in in diese Arbeit einbringen kann?
Nun ja, ich denke, dass ein Studium mehr beinhalten sollte, als nur auswendig lernen und Prüfungen ablegen. Das Bildungssystem ist so wie es ist und damit meine ich ziemlich schlecht. Wir erlernen zwar das wissenschaftliche Arbeiten (im besten Fall), aber uns wird keine kritische Perspektive auf die Dinge beigebracht. Wir müssen uns selbst kritisch bilden und dazu gehört eben das politische Engagement. Es gibt verschiedene Wege sich zu engagieren. Von der Organisierung in autonomen universitären Gruppen bis hin zur Gremienarbeit in einem Studierendenparlament. Ich denke, dass jede Art des politischen Engagements seine Vor- und Nachteile hat. Je nach Situation und Ziel ist die ein oder andere Form berechtigt und sinnvoll. Daher möchte ich jetzt hier nicht dafür sprechen, dass alle Studierenden in die Studierendenparlamente sollen, sondern eher dafür, dass sie abschätzen sollen, was wann Sinn ergibt. Denn ich muss ehrlich zugeben, dass die Parlamentsarbeit oder Gremienarbeit bis auf wenige Tage mit zu meinen langweiligsten politischen Arbeiten zählt.. Auf der anderen Seite habe ich mit meinen Genoss*innen vom SDS etwas geschafft, was wir in einem anderen politischen Format nicht geschafft hätten:
Wir haben als Studierendenparlament ein gemeinsames Statement herausgebracht und die Universität zur Stellungnahme aufgefordert. Dabei ging es um den Bonner Rechtsprofessor Dr. Stephan Talmon, der die Türkei gegen Selahattin Demirtas vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verteidigt. Wir haben offiziell Druck geschaffen und gefordert, dass der Professor sein Mandat niederlegt, weil es für uns unvereinbar ist ein Rechtsgelehrter an unserer Uni zu sein und gleichzeitig Unrecht zu verteidigen.
Ihr könnt z.B. also einer Hochschulgruppe beitreten und mit an Vorträgen, Info-Ständen und Aktionen planen.
3. Verglichen mit der Generation unserer Eltern, bemerken wir, dass sich die Zahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die ein Studium aufnehmen, vermehrt hat. Doch noch immer ergeben sich Probleme für diese. Kannst du uns etwas zu den Problemen dieser Student*innen erzählen?
Ja du hast recht. Oft ist es so, dass unsere Genration die erste aus der Familie ist, die studiert. Das ist erst einmal etwas sehr erfreuliches! Geschenkt ist dies aber noch lange nicht. Die Jugendlichen hatten trotz meist schlechterer Bedingungen, wie z.B. finanzielle Schwäche, Diskriminierung, wenig fachliche Hilfe von Haus aus, es geschafft einen Abschluss zu erlangen, um danach an einer Hochschule zu studieren. Ich denke, dass größte Problem ist, dass es hier in Deutschland noch zu sehr davon abhängt woher du kommst (Klassenfrage). Die Zugehörigkeit zu einer Klasse entscheidet zu oft, wohin du gehen wirst. Wir beispielsweise haben keine akademischen Familien und können nicht auf ein Vorwissen zurückgreifen, weder was die formalen Angelegenheiten angeht (Bewerbung, Ablauf, Studium an sich), noch die inhaltlich-fachlichen. Dieses Ungleichgewicht und die Frage nach der Finanzierung einer Zukunft stellt sich schon seit dem Kindergarten. Solange Bildung kostet und deine Klassenzugehörigkeit deinen Bildungsweg so stark beeinflusst, wird es Ungleichheit geben. Es liegt an uns dies zu ändern.4.
4. Wir befinden uns alle zurzeit in einer außergewöhnlichen Situation. Seit Wochen beschäftigen wir uns mit der Corona-Pandemie und wir wissen nicht genau, wie es weitergehen wird. In dieser Zeit ergeben sich auch Probleme für Studentinnen. Welchen Problemen müssen sich Studentinnen zur Zeit stellen? Was kannst du uns darüber sagen?
Viele Studentinnen leben von einen 450 Euro Basis-Minijob, beispielsweise in der Gastronomie. Diese Jobs sind mehrheitlich seit Wochen pausiert, soziale Hilfsfonds vom Staat, um die ausbleibenden Einnahmen zu decken gibt nicht. Die schon prekäre finanzielle Situation vieler Studentinnen ist also jetzt noch stärker. Ich beobachte das gerade bei vielen in meinem Umfeld. Zu dem kommt außerdem, dass bei einer größeren Anzahl dieser Student*innen auch die Eltern arbeitslos geworden sind, zumindest aber weniger verdienen, sodass sie nicht einmal Hilfe von ihren Familien erhalten können.
Die Lehre wird zurzeit größtenteils digital durchgeführt. Präsenzprüfungen werden oft in Hausarbeitsformat umgewandelt. Die Studierenden müssen ein großes Pensum an wissenschaftlichen Arbeiten bewältigen, haben aber gleichzeitig die schlechteste Versorgung mit Literatur und anderen Ressourcen, wie wahrscheinlich noch nie in ihrem Studium. Beispielhaft ist zu nennen, dass Uni-Bib´s geschlossen haben, Treffen für Lerngruppen nicht möglich sind, usw. Die Belastung, die diese Pandemie mit sich bringt wird von Seiten der Bildungsministerien nicht aufgefangen. Die Studierenden werden sich selbst überlassen. Dass am Ende des Semesters jedoch alles wie geplant enden soll und alle sich jetzt einfach mehr anstrengen müssen, wird ohne Gewissensbisse erwartet.
Ich bedanke mich im Namen der YDG bei dir dafür, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Es war wirklich sehr informativ. Auch wir möchten nochmal betonen, dass es wichtig ist, sich als Student*innen zu organisieren. Es ist unsere Aufgabe, gegen Diskriminierung und ungerechte Hochschulpolitik an der Universität aufmerksam zu machen und zu mobilisieren. In diesem Sinne wünschen wir auch der SDS und dir Agit viel Erfolg bei euren Arbeiten. Wir hoffen auch auf weitere Zusammenarbeit, denn zusammen sind wir stark und lauter.